Zu hoch qualifiziert für eine stressärmere Tätigkeit?
Mit zunehmender Verantwortung verfestigt sich auch die berufliche Ausrichtung und es scheint zunehmend schwerer, eine berufliche Neuorientierung vorzunehmen. Die normativen Festlegungen von Arbeitsmarkt und Personalverantwortlichen durch die zurückliegenden oder aktuellen Berufsetappen legen einen auf eine bestimmte Richtung fest. Oder besser: Man wird festgelegt. Ich selbst habe mich in vielen Bewerbungsverfahren erwischt, wie ich potenzielle Bewerber*innen gedanklich als zu überqualifiziert bewertet habe, da sie bestimmte berufliche Stationen durchlaufen haben oder eine hohe Grundqualifikation hatten. Ich will nicht abstreiten, dass die gemachten Erfahrungen in Leitungspositionen auch die beruflichen Möglichkeiten einschränken. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass man auch zukünftig die Möglichkeit hat, „nein“ zu sagen und sich neu zu erfinden. Verantwortung kann auch wieder abnehmen, wenn einem die Aufgabe nicht mehr gefällt oder eine berufliche Neuorientierung ansteht. Wer schreibt einem vor, die Aufgabe bis zum wohlverdienten Ruhestand auszuüben? Niemand. Es ist unsere freie Entscheidung, Verantwortung auch wieder abgeben zu können.
Die eigene Tätigkeit wird vor allem in der Mitte des Lebens hinterfragt.
Der persönliche Lebens- und Arbeitsweg wird oft nach einer einigen Jahren im Beruf hinterfragt.
- Wo stehe ich?
- Will ich diese Tätigkeit bis zum Renteneintritt weiterhin ausüben?
- Was bleibt von meinem Tun?
- Hat mein Job einen tieferen Sinn?
Diese Fragen können eine starke Motivation auslösen. Die Perspektive auf den vermeintlichen Traumjob kann sich grundlegend ändern. Die erfolgreiche Bankangestellte will plötzlich in ein Sozialunternehmen wechseln und Menschen unterstützen. Die langjährige Führungskraft nimmt eine Auszeit und kommt zu dem Schluss – nicht weiter so! Diese vermeintlichen Brüche nehmen zu und das ist gut so. Wir alle haben ein Leben und das sollten wir zufrieden und mit einer gewissen Sinnhaftigkeit füllen. Ein Job der einem keinen Sinn mehr gibt, unglücklich macht und nur Mittel zum Zweck ist, kann nur in eine Sackgasse führen. Was hindert uns daran, einfach einen anderen Weg einzuschlagen und die Ausrichtung in eine sinnhafte Richtung zu lenken? Angst und ein grundlegendes Sicherheitsbedürfnis. Ein Großteil von uns verinnerlicht seit Kindheitstagen vermeintliche Wahrheiten, meist durch unsere Eltern und weiteren Bezugspersonen. ‚Du brauchst einen sicheren Job. Am besten im öffentlichen Dienst.‘ ‚Gib dich mit dem zufrieden, was du hast.‘ ‚Du könntest arbeitslos werden und keine neue Arbeit finden.‘
Das sind starke innere Stimmen, die es uns erschweren, neue Zielmarken zu entdecken und anzusteuern. Welche inneren Glaubensätze das persönliche Fortkommen beeinflussen, muss jeder für sich selbst ergründen. Aber es lohnt sich. Allein die bewusste Reflexion der kindlichen Glaubensätze führen dazu, eigene Verhaltensweisen zu überdenken.
Gesellschaftlich werden Karrierebrüche als Rückschritte interpretiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Wechsel in eine andere Tätigkeit – auch ein vermeintlicher Rückschritt in der Karriere – möglich ist und keinen Rückschritt bedeuten muss, sondern eine klare Weiterentwicklung der Persönlichkeit darstellen kann. Wichtig hierbei ist, dass die Folgen, die möglichen Reaktionen und Ressentiments im Vorfeld klar sind und einen nicht überraschen.
Ein schneller Wechsel ist meist schwierig.
Warum schreibe ich auf einer Webseite zum Thema Führung über das Ende von Führung? Einfach: Mit der Einsicht, dass man immer die Wahl hat, entsteht eine große gedankliche Freiheit. Sollte die Aufgabe nicht mehr die ersehnte Erfüllung bringen, kann ich auch wieder raus. Sollte der Job eine ungesunde Art und Weise annehmen und ich spüren, dass es mir nicht gut geht. Zugegeben, die Hürden für einen schnellen Wechsel der Tätigkeit oder das Arbeitsgebers werden mit steigender Verantwortung höher. Grund hierfür ist zum einen, dass die Auswahl an geeigneten Stellen abnehmen und zweitens, dass Personalverantwortliche unterstellen, dass eine Stelle auf einer unteren Hierarchieebene oder mit weniger Verantwortung, langfristig nicht glücklich machen wird und der*die hoch qualifizierte Bewerber*in von vornherein ausgeschlossen wird. Die sinkende Verantwortung und ein womöglich kleineres Salär werden gemeinhin als nicht erstrebenswert angesehen. ‚Das kann doch nicht glücklich machen‘, wird dann schnell unterstellt.
Klar ist, dass nur 13 % der Beschäftigten in der Europäischen Union Ihren Arbeitsplatz nie gewechselt haben. Das hat eine Befragung von Statista ergeben. Wir werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit in unserem Berufsleben mit einem Arbeitsplatzwechsel konfrontiert sein. Das diese Fluktuation zunimmt, ist hinreichend bekannt. War es früher noch üblich einen Arbeitsplatz länger oder sogar das ganze Berufsleben inne zu haben, ist das heute selbstverständlich, verschiedene Stationen zu durchlaufen.
Irgendwann sind wir zur Neuorientierung gezwungen.
Spätestens mit dem Eintritt in den Ruhestand werden wir uns alle mit der Thematik einer veränderten Aufgabe bzw. mit dem Verlust einer verantwortlichen Position beschäftigen müssen. Sicherlich in einer anderen Tragweite als während unseres beruflichen Werdeganges, bedeutet es doch in eine neue Lebensphase überzutreten. Glücklicherweise kann ich hier noch nicht auf praktische Erfahrungen zurückgreifen. Die Beobachtungen in meinem privaten Umfeld deuten allerdings darauf hin, dass mit einem solchen Wechsel auch immer eine Veränderung des Lebensschwerpunktes verbunden sein muss. Wenn wir heute voll eingespannt sind, werden wir auch in einer neuen Lebensphase eine erfüllende Aufgabe suchen.
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